Spiritualität im Coaching
1.1 Persönliche Motivation und Zielsetzung der Arbeit
Bereits in meiner frühesten Kindheit kam ich in Berührung mit einem Glauben an etwas, was kein Mensch bis heute beweisen konnte: Gott, den christlich-evangelischen, um genau zu sein. Noch bevor ich selbst darüber entscheiden konnte, wurde ich getauft und später von meinem Vater mit der Überzeugung erzogen, es gibt eine höhere Macht, die über uns wacht und die Dinge auf der Welt lenkt.
Dreizehn Jahre später traf ich dann mit der Zustimmung zu meiner Konfirmation selbst die Entscheidung, mich zum christlichen Glauben zu bekennen, und weitere 16 Jahre später wagte ich den Schritt, aus der Kirche auszutreten.
Denn 2014 wurde ich durch eine Empfehlung auf die Veröffentlichungen eines mir bis dahin unbekannten Autoren aufmerksam: Eckhart Tolle. Die Lektüre seines Buches „Jetzt – Die Kraft der Gegenwart“ veränderte mein Leben und ließ mir die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft plötzlich sinnfrei erscheinen. Und auch die Entscheidung, eine Ausbildung zum Coach und Mediator zu beginnen, wurde maßgeblich von meinem „Sinneswandel“ beeinflusst.
Aber wie hängen diese Dinge zusammen? Und bin ich deshalb nun weniger gläubig? Oder mehr spirituell? Was bedeuten diese Begriffe überhaupt?
Es ist also zu klären, was Spiritualität und Glaube bedeuten, und welche Rolle sie in unserer Gesellschaft spielen. Dann werde ich der Frage nachgehen, welche Funktion Spiritualität im Coaching einnehmen kann um letztendlich ein Fazit zu ziehen, wie diese zusammenhängen und in Zukunft von Relevanz sein könnten.
2. Begriffsdeutung
2.1 Spiritualität und Glaube
Der Begriff Spiritualität ist abgeleitet vom lateinischen ‚spiritus, Geist, Hauch‘ bzw. spiro ,ich atme‘. Im altgriechischen wurde für Spiritualität auch das Wort „ψύχω“ bzw. „ψυχή“ genutzt. „ψυχή“ ist auch der Ursprung des Wortes „Psyche“, und kann auch mit „Seele“ übersetzt werden. Hier besteht also bereits durch die Herkunft des Wortes und seiner Bedeutung im altgriechischen ein Zusammenhang zwischen ‚Spiritualität‘, ‚Psyche‘ und ‚Seele‘. [1]
Auch im modernen Sprachgebrauch wird das Wort oft für eine Form der Geisteshaltung benutzt, wobei der Psychologe Rudolf Sponsel es so zusammenfast:
„Mit der zunehmend differenzierten Entwicklung des Denkens und des Geistes ist die Reflexivität – die Grundlage des Bewusstseins - entstanden, d.h. dass der Geist sich selbst zum Gegenstand des Nachdenkens machen konnte. So konnte sich der Geist fragen: was tut er hier? Wo kommt er her? Wo geht er hin? Was soll er tun und lassen? Und was für einen Sinn soll das „Ganze“ haben. Damit sind die wichtigsten und grundlegenden spirituellen Fragen und Themen bestimmt, aus denen sich alle anderen herleiten und verstehen lassen sollten.“. [2]
Jeder, der sich also diese Fragen stellt, könnte als „spirituell“ angesehen werden, wobei im alltäglichen Sprachgebrauch das Wort meist für Menschen genutzt wird, die sich überdurchschnittlich viel damit auseinander setzen. Was genau „überdurchschnittlich“ ist liegt im Auge des Betrachters: im Jahr 2010 haben 24,7% der Deutschen keiner Religion angehört, sind somit also ‚Konfessionslose‘ im Sinne der Statistik, die anderen 75,3% der befragten Personen waren entweder Christen, Muslime, Juden, Buddhisten, Hindus, oder gehörten anderen Religionen an.[3] Diese Menschen werden aber weithin eher als ‚gläubig‘ bezeichnet, wohingegen „Spiritualität“ auch eine im nicht unbedingt konfessionellen Sinne verstandene religiöse Lebenseinstellung widergibt, die keine bestimmte Konfession voraussetzt. [4]
Der Psychologe Harald Walach beschreibt „religiösen Glauben“ als „im Wesentlichen kognitiv verankerte Konzepte“ im Gegensatz zu einer „Spirituellen Erfahrung“ , die eine „direkte Erfahrung einer transzendenten, das heißt, über das individuelle Ich hinausweisenden Wirklichkeit, die das ganze Leben durchdringt und (…) nicht nur den Inhalt von Lehrsätzen oder Glaubensdoktrinen meint, sondern die Wirklichkeit selbst.“ [5]
3. Rolle der Spiritualität im Coaching
3.1 Vertraue dem Prozess
Im Coaching wird besonders viel Wert daraufgelegt, dass die KlientInnen in Eigenverantwortung eine Lösung für Ihr Problem finden, der Coach hat hierbei lediglich eine unterstützende Funktion. Hierfür wird gerne der Merksatz „Vertraue dem Prozess“ gebraucht. Der „Prozess“ bezieht sich in diesem Fall auch auf die persönlichen Erkenntnisse und Entwicklungen der Coachees während des Coachings, oder zwischen den Sitzungen. Das „Vertrauen“ darauf, dass die die KlientInnen ihr eigenes Tempo vorgeben und auch die Lösung eine ganz andere sein kann, als der Coach oder Außenstehende gedacht hätten.
„Vertrauen“ ist ein Begriff, der auch im spirituellen Kontext gerne erwähnt wird, wenn es um das Vertrauen in Gott, „das Universum“ oder „das Schicksal“ geht, also eine gewisse vertrauensvolle Grundhaltung in das Leben und darin, dass sich alles zu dem persönlichen „Besten“ entwickelt, auch wenn die aktuelle Lebenssituation vielleicht gerade nicht danach aussieht. [6] Dabei sollte den persönlichen Sorgen und Bedenken wenig Aufmerksamkeit geschenkt werden, da diese einen im Prozess blockieren und unnötig belasten können.
Die Fähigkeit, diesem „Prozess“ im Leben zu vertrauen, kann sich auch für einen Coach als nützlich erweisen, wenn sie auch nicht zwingend erforderlich ist. Auch für Coachees kann die Fähigkeit, ein Grundvertrauen darin, dass sich alles zu dem „persönlichen Besten“ entwickelt hilfreich sein, wenn es z.B. darum geht, gewisse Veränderungen anzugehen und hinderliche Gefühle wie Angst beiseite zu lassen. Denn ohne eine Veränderung, entweder im eigenen Verhalten oder der persönlichen Sichtweise, ist kein „Prozess“ möglich.
3.2 Selbsterfüllende Prophezeiung
In der Vergangenheit Erfahrenes kann sich in Form von manifestierten Strategien zur Konfliktlösung oder Mustern bemerkbar machen.[7] Dabei erwartet die Person ein bestimmtes Ereignis oder Verhalten in der Zukunft, auf Grund von seinen persönlichen Erfahrungen. Durch diese (oft negative) Haltung erfährt der Betroffene oft tatsächlich die erwartete Reaktion und sieht sich in seinem Muster bestätigt, z.B. „bei mir geht immer alles schief“ oder „ich versage immer in Prüfungen, und werde das auch dieses Mal wieder tun“.
Doris Klappenbach nutzt in Ihrem Kapitel zu dem Thema bereits das Wort „manifest“: „Die Zugrunde liegende Angst hat ihren Ursprung wie erwähnt meist in Erfahrungen aus der Vergangenheit. Sie ist dementsprechend manifest.“
Im Prozess des Coachings können über Selbstreflexion Muster oder Strategien erkannt und bearbeitet werden, sodass eine Veränderung und ggf. ein neues Gefühl bzw. eine neue Einstellung manifestiert werden kann.
In einem spirituellen Kontext wird das Wort „Manifestation“ auch in einem weniger psychologischen Sinn genutzt, das heißt, hier muss nicht unbedingt bewusst z.B. eine vergangene Erfahrung aufgearbeitet werden, um die innere Einstellung zu verändern. Trotzdem spielt hier die Selbstreflexion wieder eine erhebliche Rolle: Achtsamkeit, um zu prüfen, wie die innere Einstellung zu dem Thema oder der Person ist, um dann diese zuerst anzunehmen und ggf. aktiv nach den eigenen Wünschen zu ändern. [8] In beiden Bereichen geht es also darum, die Zukunft nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten, und dabei eine hilfreiche Geisteshaltung einzunehmen.
Allerdings ist das Prinzip der Manifestation oder „selbsterfüllenden Prophezeiung“ im spirituellen und auch gesellschaftlichen Kontext auch kritisch zu hinterfragen: auf zahlreichen Covern spiritueller Bücher und „Lebensberatern“ wird damit geworben, mit dem bloßen Glauben an etwas könne man „alles erreichen“, einige davon mit beeindruckenden Verkaufszahlen .[9] Dabei sollen eigene Gefühle in der Regel aber eher durch „positive“ überdeckt werden – „Positives Denken ist die Philosophie der Scheinheiligkeit – um ihr den richtigen Namen zu geben. Wenn dir zum Heulen zumute ist, lehrt sie dich zu singen.“, wie der spirituelle, indische Philosoph Osho es beschreibt. [10] Dies kann auch zu einer Verdrängung aufkommender Gefühle führen, statt sich mit diesen auseinanderzusetzen.
3.4 Der innere Beobachter
Selbstreflektion spielt im Coaching und in der Psychotherapie eine erhebliche Rolle. Das Erkennen und Beobachten von Gefühlen und Gedanken kann hilfreich sein, um innere Muster zu erkennen oder sich seiner eigenen Position bewusst und gewahr zu werden. Damit eine Person diese beobachtende Rolle einnehmen kann, sollte sie aber zuerst die Identifikation mit ihren Gedanken und Gefühlen aufgeben, oder sich dieser Identifikation zumindest bewusst werden. Während aus einer wissenschaftlichen Sicht dann nicht zwingend weiter darauf eingegangen wird, wer bzw. welcher Teil von uns dann eigentlich beobachtet, wird im Buddhismus und anderen Religionen bzw. aus einem spirituellen Aspekt heraus dies mit einem „tieferen Sein“ oder dem „wahren selbst“ verbunden.
„Danach die Affirmation, so konkret wie möglich: Ich bin das, was übrig bleibt, ein Zentrum reinen Gewahrseins, der Beobachter, der unbewegte Zeuge all dieser Gedanken, Gefühle und Empfindungen“.[11]
Die „Disidentifikation“ kann in einem spirituellen Kontext auch als erstes „erwachen“ oder der Beginn einer „Erleuchtung“ gedeutet werden, weil der Mensch dabei sein „wahres (göttliches) Selbst“ erkennt, auch wenn dies nicht unbedingt eine weitere, spirituelle Entwicklung oder Zuwendung zu diesem Thema nach sich ziehen muss. [12]
Das Beobachten mit Hilfe des „inneren Beobachters“, „Zeugen“, des „wahren selbst“, usw. wird im Buddhismus oder generell in Meditationstechniken auch als „Achtsamkeit“ gelehrt: seine Gedanken und Gefühle zu beobachten, ohne sie zu bewerten. [13] Aber auch in die Psychotherapie hat der Begriff Einzug gefunden: so nennt der Arzt und Psychotherapeut Russ Harris die benötigten Fertigkeiten für eine „psychologische Flexibilität“ „Achtsamkeit + Werte + Handeln“. [14]
4. Fazit
Spirituelle Ansätze und buddhistische Traditionen finden seit einigen Jahrzehnten besonderen Anklang in der westlichen Welt, was sich in der Verbreitung buddhistischer und hinduistischer Zentren, Yoga- und Meditationskursen erkennen lässt.[15] Diese Entwicklung ist interessant zu beobachten, da die Vermischung westlicher Werte und der (scheinbar) spirituellen, uralten Lehren auch neue Formen entstehen lassen kann: Yoga z.B., wie man es heute in jeder größeren Stadt Deutschlands aber auch einer westlichen Industrienation wie den Vereinigten Statten vielerorts praktizieren kann, wurde im 19. Jahrhundert in den USA erfunden und hat mit den ursprünglichem Begriffs des Yoga nur noch wenig zu tun. [16] Die Autoren des Buches „Buddhismus im Westen“ sehen z.B. besondere Chancen in der Entwicklung des Buddhismus:
„Ein Buddhismus, der nicht von oben verordnet ist und nicht den Interessen einer stattlichen Macht dienen muss (…) verfügt über einen großen Gestaltungsspielraum. Diesen zu nutzen und kreativ zu erschließen wird in den kommenden Jahrzehnten der Buddhisten hier im Westen sein. Das ist eine Herausforderung und es ist ungewiss, wie das Experiment ausgehen wird. Sicher ist nur, dass die Umsetzung wohl mehr als eine Generation in Anspruch nehmen wird.“[17]
Während Buddhismus aber eine Religion ist und somit trotzdem gewissen Regeln unterliegt, sind die Möglichkeiten einer von Religion und deren Beschränkungen losgelösten Spiritualität noch weitaus vielfältiger. [18] Techniken und Methoden, die eigentlich einen spirituellen Ursprung in Religionen, Glaubensrichtungen und Meditationstechniken haben, haben längst Einzug in Werkzeuge und Arbeitsweisen des Coachings gefunden. Deshalb müssen weder Coaches noch deren KlientInnen ein spirituelles Vorwissen oder Interesse aufweisen, da die Techniken ganz losgelöst von irgendeiner Glaubensrichtung eingesetzt werden können. [19]
Erstellt von:
Benjamin Seegers | Heute schon gelebt? Life Coaching Frankfurt
https://www.heute-schon-gelebt.de
5. Quellenverzeichnis
https://de.wikipedia.org/wiki/Spiritualit%C3%A4t - abgerufen am 14.07.2017;
http://www.seele-und-gesundheit.de/spiritualitaet/seele.html - abgerufen am 14.07.2017
https://de.wikipedia.org/wiki/Spiritualit%C3%A4t - abgerufen am 14.07.2017
https://www.psychotherapeutenjournal.de/ptk/web.nsf/gfx/3153DC0EEE7B388941257A800048F478/$file/ptj_3_2012.pdf - abgerufen am 14.07.2017
http://www.sgipt.org/wisms/gb/spirit0.htm#Vorbemerkung: Spiritualität - Ein Wort macht - abgerufen am 14.07.2017
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/37028/umfrage/mitglieder-in-religionsgemeinschaften-in-deutschland/ - abgerufen am 14.07.2017
https://www.eckharttolle.de/media/interviews/beziehungen-wahre-liebe-und-die-transzendenz-der-dualitaet-19 - abgerufen am 14.07.2017
http://www.bahai.org/beliefs/god-his-creation/revelation/ - abgerufen am 14.07.2017
http://studienseminar.rlp.de/fileadmin/user_upload/studienseminar.rlp.de/bb-nr/paed-fundst/2011/AGL_6_11.pdf - abgerufen am 14.07.2017
http://www.report-psychologie.de/achtsamkeit/fuenf-elemente-zirkel-der-achtsamkeit-nicht-bewerten/ - abgerufen am 14.07.2017
http://www.achtsamleben.at/praxis/disidentifikationsuebung/ - abgerufen am 14.07.2017
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-104674098.html - abgerufen am 14.07.2017
http://www.osho.com/de/read/osho/osho-on-topics/trust . Abgerufen am 06.08.2017
https://www.horizonworld.de/ein-indischer-mystiker-erklaert-warum-positives-denken-so-gefaehrlich-ist/ - abgerufen am 24.08.2017
http://www.dalecarnegie.com/how-to-win-friends-and-influence-people-in-the-digital-age/ - abgerufen am 24.07.2017
Arbeitsgemeinschaft Theologie der Spiritualität: "Lasst euch vom Geist erfüllen!" (Eph 5,18): Beiträge zur Theologie der Spiritualität, 2001
Doris Klappenbach: Mediative Kommunikation: Mit Rogers, Rosenberg & Co. konfliktfähig für den Alltag werden, 2006
Eckhart Tolle: Jetzt! Die Kraft der Gegenwart, 2010
Russ Harris: Wer dem Glück hinterherrennt, läuft daran vorbei: Ein Umdenkbuch, 2009
Harald Walach: Psychologie, Wissenschaftstheorie, philosophische Grundlagen und Geschichte – Ein Lehrbuch, 2013
Carola Roloff, Wolfram Weiße, Michael Zimmermann: Buddhismus im Westen, 2011
[1] Vgl. Wikipedia, 2017
[2] Sponsel, 2006
[3] Vgl. Statista, 2017
[4] Vgl. Eisen, 2017
[5] Walach, 2013, Kap. 9.12
[6] Vgl. Osho, 2006
[7] Vgl. Klappenbach, 2011, S.58
[8] Vgl. Eng, 2004
[9] Vgl. Dale Carnegie, 2017
[10] Vgl. Osho, 2017
[11] Wilber, 1992
[12] Vgl. Arbeitsgemeinschaft Theologie der Spiritualität, 2001, S. 245
[13] Vgl. Berufsverband Deutscher Psychologen, 2017
[14] Harris, 2009, S. 55
[15] Roloff, Weiße, Zimmermann, 2011, S. 21
[16] Vgl. Dworschak, 2013
[17] Roloff, Weiße, Zimmermann, 2011, S. 21
[18] Vgl. Walach, 2013, Kap. 9.12
[19] Vgl. Harris, 2009